Wir müssen uns im Klaren sein, dass wir in unserem
System mittlerweile mehr 'kranke' als gesunde Kinder
haben.
Thomas
Baumann, Kinderarzt (Im Interview mit der NZZ am Sonntag vom 6. November
2011)
Als Vater ist es mein grosser Wunsch, dass sich unsere Kinder positiv entwickeln, Fortschritte machen und ich sie in ihrer Persönlichkeit fördern und unterstützen kann.
Das ist nichts besonderes, weil alle Eltern das Beste für ihre Kinder wünschen. Nur: Was ist das Beste? Dabei erlebe ich den Umgang mit den schulischen Anforderungen an meine Kinder als eine spezielle Herausforderung.
Ich möchte mir später mal nicht vorwerfen müssen, ich hätte meine Kinder zu wenig gefördert und ihnen dadurch Stolpersteine auf eine erfüllende Berufslaufbahn gelegt. So hinterfrage ich mich, ob ich "es" wohl richtig mache. Ohnmachtgefühle sind da nicht mehr weit. Aber auch damit scheine ich nicht alleine zu sein.
Gerade diese Woche habe ich mich mit einer Mutter unterhalten, die sich auch schwer damit tut, angemessen auf die Schulleistungen der Kinder zu reagieren. Erfüllt ein "Erfüllt" auch die Erwartungen der Eltern oder braucht es jedesmal ein "Übertroffen"? Wie reagiere ich zum Beispiel auf einen so genannten "dummen Fehler" in einem Test?
Weil ich weiss, dass elterlicher Druck für die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder oft mehr unerwünschte Nebenwirkungen hervorrufen, will ich mich hüten, überhöhte Forderungen zu stellen. Doch auch wenn ich Bemerkungen im Sinn von "mehr wäre möglich" unterdrücke, spürt mein Kind, ob ich seine Leistung wertschätze oder nicht.
Letzten Sonntag las ich in der "NZZ am Sonntag" ein bemerkenswertes Interview zu diesem Thema: "Heute hingegen erhalten über fünfzig Prozent aller Kinder irgendwelche Therapien, um schulische Schwächen zu beheben. Irgendetwas stimmt da nicht", sagt Kinderarzt Thomas Baumann. Und warum ist das so? "Wir haben heute völlig falsche Vorstellungen davon, was normal und was nicht normal ist."
Baumann und sein Kollege Romedius Alber warnen vor den vielen Abklärungstests und der Übertherapierung unserer Kinder. Statt bei jedem Kind einen Defekt zu suchen, sollte man gescheiter auf die Stärken des einzelnen bauen. Als Kinderärzte lehnen sie selbstverständlich nicht einfach grundsätzlich Therapien ab, weisen jedoch darauf hin, dass jede Diagnose bei den Kindern etwas auslöst. "Durch die Therapien werden Kinder stigmatisiert", sagen die Experten, und zudem seien viele Therapien nutzlos.
Doch Baumann beobachtet auch hoffnungsvolle Förderung: "Es gibt Therapeutinnen, die wollen nicht einen Defekt reparieren, sondern das Kind stärken. Sie suchen nach anderen Fähigkeiten, auf die das Kind bauen kann, damit es trotz Problemen auf sich stolz sein kann."
Sind nun unsere Kinder normal? Oft wohl "normaler" als wir denken. Stärken wir doch unsere Kinder in ihren Fähigkeiten und hören wir damit auf, sie an einer gnadenlosen, übersteigerten Norm zu messen.
Link zum Artikel in der NZZ am Sonntag: "Erlöst die Schüler von unnötigen Diagnosen"
Mein
Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den Lebensbereich "Liebe
& Familie".
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